Läuft's gut, läuft's perfekt
Ich bin kein abergläubiger Mensch. Ich versuche immer rationale Erklärungen zu finden. In der letzten Woche hat diese Auffassung jedoch ein paar Risse bekommen. Gibt es das Schicksal doch?
Dieser Sommer war, ehrlich gesagt, eher anstrengend. Bevor wir in den Urlaub fahren konnten, musste ich jede freie Minute in den Vanausbau stecken. Unterwegs gab es dann große und kleine Probleme und Herausforderungen. Am Ende der Reise war das Auto kaputt, wir waren grundlegend erschöpft und ein trockener Husten hielt mich vom Schlafen ab. Dazu erwartete mich zuhause ein Job, den ich zwar schon gekündigt hatte, der mich aber noch eine Weile beschäftigt, aber nicht glücklich halten sollte. Ich war mit der Gesamtsituation unzufrieden. Warum hatten wir nur so ein Pech?
In den letzten zwei Wochen dann wendete sich das Blatt. Neben kleineren Unerfreulichkeiten (innerhalb kurzer Zeit gaben die elektrische Zahnbürste, der Akku-Staubsauger und der Küchenmixer den Geist auf) hatte ich zwei mal – oder sogar dreimal, wenn ich drüber nachdenke – richtig Grund zur Freude.
Erstens: Meine Jobsuche war vorüber, bevor sie richtig losgehen konnte. Doro schickte mir eines Abends eine spannende Stellenanzeige per Airdrop, ich machte meine Bewerbung fertig und schickte eine Email. Ohne Anhang. Glücklicherweise fragten die netten Menschen auf der anderen Seite neugierig nach, ich konnte meinen Lebenslauf diesmal wirklich schicken und erhielt kurz darauf die Einladung zum persönlichen Gespräch. Das lief fantastisch und ich ging inspiriert nach Hause. Drei Tage später dann der Anruf: ich habe den Job, wenn ich ihn will. Juchuuu! (Im Moment, in dem ich das hier schreibe, habe ich noch keinen Vertrag unterschrieben, also halte ich mich (noch) bedeckt, bei wem ich demnächst Unfug treiben darf. Ich darf nur so viel verraten: ich habe richtig Bock darauf!)
Zweitens: mein Sohn hat gerade eine richtig schwere Zeit mit der Kita. Er mochte seine Kita nie so richtig aber in letzter Zeit ist aus Abneigung eine richtige Sorge über den Tagesablauf geworden. Er wacht mit dem Gedanken auf "Muss ich heute wieder in die Kita?" und versucht dann alles in seiner Macht, um nicht hin zu müssen. Das stresst ihn und uns. Vor einer Woche dann kam aus dem Nichts eine Email von einer Montessori Kita bei der wir uns mit dem Sohn vor 3 Jahren (!) beworben hatten. Wir sollten mal zum Kennenlernen vorbei kommen. Die Kita gefällt uns und ihm super und kurz darauf erfuhren wir, dass sogar die kleine Schwester dort einen Platz kriegen kann. Alle Eltern in Berlin wissen, wie wertvoll Kitaplätze sind, erst Recht wenn es um seltene Konzepte wie Montessori geht und mehr als ein Kind in Kürze einen Platz braucht. Wir können es selbst kaum glauben und sind super dankbar für den spontanen Ausweg aus dem Kita-Dilemma. Wir müssen jetzt zwar längere Wege in Kauf nehmen, doch das ist ein kleiner Preis für einen zufriedeneren Jungen.
Und drittens: Ich habe überraschend und kurzfristig noch Tickets für das Abschlusskonzert der Ärzte auf dem Tempelhofer Feld bekommen. Und es war fantastisch. Obwohl ich schon auf tollen Open Air Konzerten von Kraftklub bis KIZ war, reicht niemand den drei Berlinern mit Stromgitarren und bisschen Bummbumm das Wasser. Live einfach besser als wie auf Platte. (Highlights waren “Dauerwelle vs. Minipli”, “Ignorama” und natürlich “Sommer, Sonne, Sonnenschein”. Da fiel auch bei uns der Groschen und wir fingen an, zu moshen.)
Ist das jetzt Schicksal? Ist das die Entschädigung für einen enttäuschenden Sommer? Ich weiß es nicht. So schnell ändere ich meine Weltanschauung nicht, aber ich beschwere mich auch nicht, wenn zur Abwechslung mal alles mehr als rund läuft. Ich hoffe Euch geht es da genauso.
Jorams kleine WissKomm-Ecke
Eigentlich wollte ich ja viel über WissKomm schreiben und wenig über Privates. Heute ist es mal andersrum. Ich habe vor einigen Tagen eine Talk-Runde in diesem Internet gesehen, bei der WissKomm-Profis diskutiert haben, welche Rolle AR/VR/XR für die WissKomm spielen können. Und während ich neulich noch bemängelt habe, dass die WissKomm der Technik hinterherhängt, so bin ich jetzt auch nach diesem Panel sehr skeptisch, ob gerade Mixed/Augmented Reality der Zug sein sollte, auf den die WissKomm aufspringt. Bis auf ein paar Games habe ich noch keine VR/AR Erfahrung erlebt, die über die Gimmick-Faszination hinausging. Wie seht Ihr das? Gibt es richtige Hammer-Anwendungen in AR?
Ich für meinen Teil würde mich freuen, wenn wir mit den uns zur Verfügung stehenden “alten” Medien mal richtig fette WissKomm machen würden. Dann darf auch gerne mal eine AR-Anwendung kommen.
Aus der Forschung
Reichen Fakten, um Menschen in Streitfragen zu überzeugen? Nein, sagt eine aktuelle Studie.
Both liberals and conservatives believe that using facts in political discussions helps to foster mutual respect, but 15 studies—across multiple methodologies and issues—show that these beliefs are mistaken. Political opponents respect moral beliefs more when they are supported by personal experiences, not facts.
(Aus Personal experiences bridge moral and political divides better than facts, Emily Kubin, Curtis Puryear, Chelsea Schein, and Kurt Gray, Edited by Jennifer A. Richeson, Yale University, New Haven, CT, and approved December 7, 2020 (received for review April 29, 2020).)
In der Studie geht es um "moral beliefs", also die großen Fragen um Waffenrecht, Recht am eigenen Körper, Einwanderung und Umwelt. Doch auch unscheinbare Wissenschaftsergebnisse werden meiner Meinung nach in der Wahrnehmung immer mehr zur Glaubensfrage. Infektionsbiologie, Pflanzenforschung, Klimaforschung, Energiewirtschaft, Fahrzeugtechnik und etliche Felder mehr werden öffentlich diskutiert und sollten (müssen sogar) Position beziehen. Forschung findet nicht im luftleeren Raum statt (außer Physik) und muss sich demnach auch ethisch moralischen Fragen stellen. Und dazu gehört auch, persönliche Erfahrungen mit in die Argumentation fließen zu lassen, wenn man überzeugen möchte. Das gibt mir vor allem als Wissenschaftskommunikator zu denken. Häufig "verstecken" wir Forscher:innen hinter Fakten und Zahlen und versuchen aktiv, die Persönlichkeit aus den Forschungsergebnissen zu entfernen. Das kann man gut begründen, ist dann nun aber nachweislich schlechter geeignet, um die Gegenseite von Argumenten zu überzeugen. Wir brauchen mehr persönliche Erzählungen in der WissKomm – solange wir nicht in die anekdotische Evidenz abrutschen.
TV Tipps mit Joram
Auf arte habe ich eine spannende Dokumentation zur dringend nötigen Verkehrswende gesehen. In Beispielen aus Barcelona, Paris, Kopenhagen und Berlin (yay!) wird gezeigt, mit welchen Ansätzen Stadtplaner:innen die Städte lebenswert (also freier von Autos) machen wollen. Barcelona legt Wohnblöcke zusammen und sperrt den Autoverkehr aus, Paris hat eine großflächige Verkehrsstrategie mit ÖPNV und Fahrradinfrastruktur, Kopenhagen setzt auf ausgebaute Radschnellwege und was macht Berlin? Berlin baut Parkplätze statt Radwegen unter der U-Bahnstrecke und verspricht ganz bald auch wirklich mal in Tegel mit einem modernen Neubauviertel loszulegen. Es war schon sehr ernüchternd zu sehen, wie weit Berlin im europäischen Vergleich hinterherhinkt. Es fehlt an einer Verkehrsstrategie, am Willen der Regierung und Ämter und an einem Verständnis für die Notwendigkeit einer Verkehrswende. Seufz.